Pisa ist ein Thema - Musterschüler sind ein völlig anderes
Von Jan Drees
Barmen. "Irony is over?". Am Gymnasium Siegesstraße nicht. Der Kabarettungsdienst liefert auch von seinem zehnten Jahr munter Zynisches aus dem Schülermund, angeleitet unterstützt durch Lehrer Michel Brischke.
Am Samstag war Premiere des neuen Programms: „Bildung gefällig? - Dumm gelaufen!". Unvermeidlich, da auch Plakat-Titel gebend, war Pisa ein Thema und der deutsche Musterschüler ein anderes. In der alten Schulaula, unter fleckiger Decke und vor antiquierter Tafel entfaltete sich das Elend der Bildungsmisere und ließ fließende Grenzen zwischen Dargestelltem und täglich an der Schule Vorgefundenem erahnen. Der Applaus des Publikums wirkte wie ein solidarischer Akt. Und Solidarität war, ebenso wie die Neue Deutsche Welle ein Programmpunkt, genauer die Neue Deutsche Solidaritätswelle, die den Westspanner in die Flutgebiete lockte und das Volk Sandsäcke für den Klima Schutz schleppen ließ. Wie anstrengend Letzteres ist, wurde deutlich, als der Kabarettungsdienst einen Sandsack durch die Zuschauerreihen reichte.
Bemerkenswert waren die politischen Stücke, die wie Befolgung des vor wenigen Tagen von Christoph Schlingensief geforderten "tötet Politik" wirkte.
Die Wahloper 2002 mit König Gerhard Schröder in der Hauptrolle zeigte eine verbitterte Sicht der Jugend auf die herrschenden Verhältnisse in der parlamentarischen Demokratie. Denn eben jene ermöglicht Politikern, ihre Wähler so lange zu umwerben, bis die Schlacht oder Wahl gewonnen ist, um jene, die sie wählen, zum vergessen.
Beim Programm des Kabarettungsdienstes kam es erst gar nicht so weit, weil sich die Protagonisten von CDU, SPD, FDP, Bündnis 90 / die Grünen und PDS schon davor in einer Blutschlacht meucheln. Der schleichende Tod des Kabaretts selbst wurde hingegen in der letzten Nummer sarkastisch diskutiert. Ist mehr Sex, ein Blick hinter die Kulissen oder öffentliche Kabarettisten-Selektion eine Lösung? An das RTL-2-Programm angelehnt, kamen die Schüler zu einer besseren Lösung: „Wir brauchen die dümmsten Zuschauer der Welt." Im Saal wurde applaudiert.
"Irony is over?". Am Gymnasium Siegesstraße ganz bestimmt nicht. Weitere Vorstellungen (...). Infos im Internet unter www.kabarettungsdienst.de.
Westdeutsche Zeitung, Wuppertal, 23.9.2002
Ob Elterntheater, semiprofessionelle Ensembles, Amateur-Gruppen oder Schüler-Kabarett: Rund 80 freie Theater beleben die kulturelle Szene der Stadt.
Von Nicola Kuhrt
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Die Texte der Schüler haben es in sich: Der Kabarettungsdienst, das Kabarett des Gymnasiums Siegesstraße, ist längst ein Garant für gute, witzige Unterhaltung. Seit der Gründung 1993 durch Lehrer Michael Brischke brachte es der Kabarettungsdienst auf mehr als 130 Aufführungen mit rund 70 Beteiligten in neun Jahren. Schon „Von riesigen Nebenwirkungen", das erste Programm der Truppe, nahm den Alltag mit Biss und viel Humor unter die Lupe. In schöner Regelmäßigkeit folgten nun gefeierte Kabarettabende wie „Satirischen Verse",
„Rückgratlose Aufklärung" und der letzte Coup: „Bildung gefällig? Dumm gelaufen!".
Das Geheimnis des Erfolgs? Neue Teilnehmer - mitmachen können Schüler ab der 10. bis zur 13. Klasse - werden von Brischke und den restlichen jungen Kabarettisten ausführlich in die Kunst der Satire eingeführt. Geprobt wird jeweils von Januar bis zur ersten Premiere im September. „Jeder Schüler schreibt seine Texte selbst", sagt Michael Brischke. Einen vorgegebenen Text einfach nur auf die Bühne umzusetzen, das gibt es beim Kabarettungsdienst nicht - schließlich geht es um die „Einheit von Schreiben und Spielen", erklärt Michael Brischke. (...)
Westdeutsche Zeitung, Wuppertal, 28.11.2002
Seitenhiebe auf das Schulsystem saßen
Mettmann (kli). Zu Gast in der Aula des KHG in Mettmann war der „Kabarettungsdienst" des Gymnasiums Siegesstraße aus Wuppertal. Unter der Regie ihres Lehrers Michael Brischke, der auch die Begleitung der Lieder am Klavier gestaltete, spielten und sangen sieben Schülerinnen und Schüler ihr 10. Programm seit 1993 mit Tempo und persönlichem Engagement.
Toller Teamgeist
127 Aufführungen in dieser Zeit mit 66 Mitwirkenden vor ganz unterschiedlichem Publikum sprechen für einen tollen Teamgeist der Darsteller, die sich aus den Jahrgangsstufen 10 bis 13 rekrutieren. Alle Texte werden selbst geschrieben und in kleinen Gruppen geprobt und diskutiert, bevor sie unter der behutsamen Regie von Michael Brischke ins Programm aufgenommen werden. Das bedeutet rund vier Monate Vorbereitungszeit. Das Ergebnis war jetzt zu sehen und zu hören, erstaunlich, beeindruckend, fast profihaft im schnellen Wechsel der Szenen und zeitkritisch-hochpolitisch in manchmal bestürzender Aktualität. In 13 Szenen unter dem Titel „Bildung gefällig? Dumm gelaufen!" ergab sich ein Panorama bundesdeutscher Unzulänglichkeiten.
Der Musterschüler nach der Pisa-Studie wird mit Aufgaben vorgeführt, was Seitenhiebe auf das nach unten durchlässige Schulsystem und die Versorgung von Immigrantenkindern provozierte. Eine „Wahloper 2002" mit König Gerhard und Gefolge und ein Sketch zur FDP ironisierten die aktuelle Politik, während ein fiktives Liederbuch der Bundeswehr musikalisch durch den Kakao gezogen wurde.
Es gab wenig zu Lachen
Das „Jugendmuseum" erlaubte einen musealen Rückblick auf unsere Gegenwart mit bissigen Bemerkungen über die Versorgung der Senioren. Ein gelungener Einfall lag der Szene „uneingeschränkte Solidarität" zugrunde, indem ein Mathematikprofessor auf die Wandtafel ein Koordinatenkreuz mit den Achsen des Guten und Bösen zeichnete.
An dieser Stelle sei die Bemerkungen erlaubt, dass in manchen Szenen das hohe Niveau der Argumentation auf Kosten der Verständlichkeit überzogen wurde, und - dass es wenig zu lachen gab. Stoff zum Nachdenken lieferte die Zugabe mit dem Couplet „Die Ballade vom traurigen Soldaten", das von Sebastian Rüdiger hervorragend gesungen wurde.
Rheinische Post, Mettmann 19.11.2002